Applied Kinesiologie – Manuelle Muskeltestdiagnostik

Applied Kinesiology ist eine ganzheitliche Diagnostik– und Therapie-Methode, die mithilfe von manuellen Muskeltests Fehlfunktionen des Bewegungsapparats, des Stoffwechsels und der Psyche sowie die dafür ursächlichen Zusammenhänge ermitteln kann.

Geschichte der Applied Kinesiology

In den 1960er-Jahren entdeckte der amerikanische Chiropraktiker George Goodheart (DC), dass man anhand von Muskeltests herausfinden kann, wie ein Patient auf gesundheitliche Belastungen reagiert (z. B. auf toxische Substanzen, Fehlstatik oder psychischen Stress) und dass es auch möglich ist, die geeignete Therapie auf diese Weise zu ermitteln. Er führte seine Erkenntnis mit anderen Methoden, wie der Chiropraktik, der Akupunktur, der Osteopathie und der Orthomolekularmedizin, zusammen und schuf damit ein ganzheitlich integratives Diagnose- und Therapiesystem.

 Balance im Gesundheitsdreieck

Für die Applied Kinesiology wurde das Modell des „Triad of Health“ (Dreieck der Gesundheit) von Palmer übernommen, das auf dem Zusammenwirken von Struktur (Bewegungsapparat), Chemie (Stoffwechsel) und Psyche des Patienten basiert. Stehen die Seiten dieses Dreiecks in einem ausgewogenen Verhältnis, ist der Mensch gesund, sind sie unterschiedlich ausgeprägt, liegt eine Dysbalance und damit eine Störung vor.

Interdisziplinäre Perspektive

Da im Dreieck der Gesundheit ganz unterschiedliche gesundheitliche Aspekte berücksichtigt werden, setzt die Anwendung von Applied Kinesiology voraus, dass der Therapeut in der Lage ist, in allen medizinischen Disziplinen Diagnosen zu stellen, um den Patienten dann gegebenenfalls an einen entsprechend spezialisierten Kollegen zur Behandlung zu überweisen. Die Ausbildung am International College of Applied Kinesiology (ICAK) setzt deshalb einen bereits vorhandenen medizinischen Abschluss voraus und ist damit Ärzten, Zahnärzten, Chiropraktoren, Physiotherapeuten, Heilpraktikern etc. vorbehalten.

 Beispiele für das Zusammenspiel von Symptom und Ursache

  • Wiederkehrende Gelenkbeschwerden können von Fußfehlstellungen, Zahnstörfeldern, Bissfehlstellungen, alten Traumata etc. verursacht werden.
  • Rückenschmerzen entstehen möglicherweise durch Operationsnarben, funktionelle Magen-Darm-Störungen oder Schädel-Kiefer-Dyslokationen.
  • Unklare Bauchbeschwerden können unter anderen an Darm Dysbiosen, Nahrungsmittelunverträglichkeiten oder Narbenstörfeldern liegen.
  • Chronische Infektionen können im Zusammenhang mit Zahnstörfeldern, Impfnarben, Schwermetallbelastungen etc. stehen.
  • Kopfschmerzsyndrome können Ursachen wie alte Traumata, Histaminunverträglichkeiten, Schädel-Kiefer-Dysfunktionen oder Schwermetallbelastungen haben.

 Applied Kinesiology und Schulmedizin

Während die Schulmedizin vor allem manifeste klinische Erkrankungen erkennen kann, ist es die Stärke der Applied Kinesiology, auch feine Abstufungen von Gesundheitsstörungen zu erkennen, die Auslöser für rund 70 Prozent aller Arztbesuche sind. So kann der Therapeut Gesundheitsstörungen besser erkennen und nachhaltiger therapieren. Dabei wird der Organismus als vernetztes Ganzes betrachtet.

Applied Kinesiology betrachtet Gesundheitsstörungen als Prozess, nicht als Zustand. Die Diagnose „Kopfschmerz“ etwa beschreibt einen Zustand, ein Symptom, das aber letztlich durch eine Kiefergelenkstörung, eine Nahrungsmittelunverträglichkeit oder eine Fusionsstörung der Augen ausgelöst worden sein kann. Es gilt, die eigentliche Ursache hinter dem Symptom zu finden sowie den zur Gesundheitsstörung führenden Prozess zu erfassen und zu korrigieren.

Die in der Applied Kinesiology angewendeten Muskeltests sind eine funktionell neurologische Untersuchung. Je nach Erfordernis werden sie in das geeignete medizinische Diagnosesystem integriert und bilden damit eine sinnvolle Ergänzung zu Befragungen, körperlichen Untersuchungen, Labor und technischen Diagnostikverfahren (z. B. CT und MRT).

Eustress und Dystress

Eine wichtige Grundlage der Applied Kinesiology ist das Stresskonzept nach Selye. Dort werden zwei Stressformen unterschieden: Eustress und Dystress. Beide braucht der Organismus, um überleben zu können. Eustress sind strukturelle, chemische oder psychische Reize, die förderlich sind, z. B. regelmäßige sportliche Betätigung, gesunde Ernährung oder soziale Kontakte. Dystress hingegen sind ebensolche Reize, die jedoch der Gesundheit schaden, etwa durch Fehl- und Überbelastungen des Körpers, durch Unfälle und Traumata, durch ungesunde Ernährung und Umweltgifte oder Mobbing am Arbeitsplatz.

Die Applied Kinesiology hat das Ziel, Dystress ausfindig zu machen, zu reduzieren und mit Eustress zu therapieren.

Typische Stress-assoziierte Probleme nach Selye sind:

  • wiederkehrende Infekte
  • Allergien und Heuschnupfen
  • Magen- und Verdauungsbeschwerden
  • Schlafstörungen, Gereiztheit, Unlust und andere psychische Symptome
  • Konzentrationsschwäche
  • Müdigkeit, depressive Verstimmungen
  • Zittern, nervöse Ticks, Stottern
  • nächtliches Zähneknirschen mit morgendlichen Kiefergelenk-, Kopf- und anderen strukturellen Beschwerden
  • häufiger Harndrang
  • Migräne, prämenstruelle Beschwerden
  • Nacken- und Kreuzschmerzen ohne vorangegangene Traumata
  • zu wenig oder zu viel Appetit
  • verstärktes Verlangen nach Nikotin, Alkohol, Kaffee oder sonstigen Drogen

Muskeltests

Grundlage der Applied Kinesiology sind spezifische Muskeltests, mit denen sich sowohl schadende oder belastende als auch fördernde Faktoren ermitteln lassen.

Nach einer vorausgehenden Anamnese untersucht der Therapeut manuell die Reaktion verschiedener Muskeln, die erfahrungsgemäß in Zusammenhang mit den Beschwerden stehen. Anschließend werden die entsprechenden Muskeln mit einer spezifischen diagnostischen Provokation (Challenge) erneut getestet. Die Challenge kann struktureller, chemischer oder emotionaler Natur sein. Aus der Veränderung der Muskelreaktionen zwischen beiden Testphasen lässt sich eine Diagnose ableiten. Ob eine bestimmte Therapie Erfolg verspricht, kann man schon vorab daran erkennen, wie der Muskel auf die Konfrontation mit ihrer möglichen Anwendung reagiert.

Bei den Muskeltests drückt der Patient mit maximaler Kraft gegen den Widerstand des Therapeuten, der dann den Druck seinerseits geringfügig um zwei bis vier Prozent erhöht. Kann der Patient dieser zusätzlichen Kraft nicht ausreichend stark widerstehen, ist der Muskel schwach. Hält er dem Druck stand, reagiert aber physiologisch auf schwächende (sedierende) Maßnahmen, ist er normoton (normal). Wenn der Muskel trotz sedierender Maßnahmen stark bleibt, ist er hyperton (zu stark). Auch dies ist eine Dysbalance. Nur im normalen Zustand lassen sich die Muskeltests durchführen.

Untersuchung potenziell schadender Faktoren (Beispiel)

Der gerade Oberschenkelmuskel ist dem Dünndarm zugeordnet. Er eignet sich z. B. für einen Nahrungsmitteltest, weil sich Unverträglichkeitsreaktionen potenziell an den Schleimhäuten des Magen-Darm-Trakts manifestieren. Zunächst wird getestet, ob der Muskel normoton ist und sich für den Muskelreaktionstest eignet. Danach nimmt der Patient das zu testende Lebensmittel in den Mund. Verändert sich die Muskelstärke nicht, ist die Challenge negativ und das Lebensmittel damit für den Patienten verträglich. Wird der Muskel schwächer oder reagiert er hyperton, ist die Challenge positiv und das Lebensmittel unverträglich.

 Untersuchung potenziell fördernder Faktoren (Beispiel)

Soll geprüft werden, ob ein infrage kommendes Medikament bei dem Patienten wirkt, kann z. B. der Deltamuskel der Schulter getestet werden, der der Lunge zugeordnet ist. Zunächst wird getestet, ob der Muskel normoton ist und sich für den Muskelreaktionstest eignet. Ist dies der Fall, nimmt der Patient das Medikament in den Mund und der Therapeut testet die Veränderung in der Muskelreaktion. Findet keine Veränderung statt, ist die Challenge negativ und das Medikament wirksam. Wird der Muskel schwächer oder noch stärker, ist es unwirksam. Die Veränderung hält nur solange an, wie das Medikament im Mund behalten wird. Eine nachhaltige gesundheitliche Verbesserung setzt natürlich eine ausreichend lange Einnahme voraus.

 Indikationen

Allgemeinmedizin

Orthopädie, Neurologie

  • Arthrose
  • Bandscheibenvorfall
  • Kopfschmerzen
  • Migräne
  • Skoliose
  • Sportverletzungen
  • Bandscheibenvorfall

Gynäkologie, Urologie

  • hormonelle Störungen
  • Inkontinenz
  • Menstruationsstörungen
  • Prämenstruelles Syndrom
  • Prostatabeschwerden

Zahnmedizin, Kieferorthopädie

  • Anpassung kieferorthopädischer Apparaturen
  • Herd- und Störfelddiagnostik
  • Lern- und Konzentrationsstörungen
  • Schmerzsyndrome durch Fehlbiss
  • Testung von Zahnersatzmaterialien

Quellen

  • Deutsche Ärztegesellschaft für Applied Kinesiology (DÄGAK): www.daegak.de und Informationsbroschüre.
  • Garten, Hans: Lehrbuch Applied Kinesiology. Muskelfunktion, Dysfunktionen, Therapie. Urban & Fischer Verlag, München 2004. S. 3-4.
  • Garten, Hans und Weiss, Gerald: Systemische Störungen – Problemfälle lösen mit Applied Kinesiology. Urban & Fischer Verlag, München 2007.
  • Garten, Hans: Das Muskeltestbuch. Funktion – Triggerpunkte – Akupunktur. Urban & Fischer Verlag, München 2008.
  • Garten, Hans: Applied Kinesiology. Funktionelle Myodiagnostik in Osteopathe und Chirotherapie. Urban & Fischer Verlag, München 2016.